Schau her! Zwei
äusserst attraktive Mannsbilder, zwei wahre Mordskerle!
Muskulös, leicht übergewichtig und eher bedächtig der
eine, schlank, drahtig und quirlig der andere.
Freundschaft fürs Leben
Bernhard Luginbühl,
Spross einer Metzgerdynastie, gelernter Steinbildhauer
und sein halbes Leben in einem behäbigen Bauernhaus im
verschlafenen Mötschwil wohnhaft, roch stets nach
frischem Heu und Landwirtschaft, Jean Tinguely, der
einstige Schaufensterdekorateur aus dem vergleichsweise
mondänen Basel, nach Champagner und Motorenöl. 1957
lernten sie sich kennen, und schon 1960 stellten sie in
der Kunsthalle Bern gemeinsam aus.
Bernhard Luginbühl
und Jean Tinguely, eine Freundschaft fürs Leben. Sie
verkehren im gleichen Kreis rebellischer Geister und
erleben ihre Zeit bewusst und engagiert mit. Über die
Jahrzehnte verbindet sie eine tiefe
Seelenverwandtschaft. „Kunst ist Revolte – Revolte ist
Kunst“, heisst ihre Maxime. Beide erlangen
internationale Berühmtheit. Tinguely stirbt, erst
66jährig, 1991, Luginbühl mit 82 im Jahre 2011.
Anarchischer Geist
Jetzt findet das schillernde Duo noch einmal zusammen
– in einer am letzten Sonntag eröffneten Ausstellung im
Alten Schlachthaus an der Metzgergasse in Burgdorf, im
unvergleichlich stilvoll gestalteten Luginbühl-Museum.
So verschieden sie in ihrer physischen Erscheinung
waren, so sehr verbanden sie ihr anarchischer Geist und
ihre ungestüme Kreativität.
Davon zeugen ihre vielen gemeinsamen Projekte, aber
auch Dutzende von Dokumenten und Entwürfen, Skizzen und
Fotos, die der älteste Luginbühl-Sohn Brutus liebevoll
zusammengetragen hat, darunter zahlreiche Postkarten und
Briefe des damals schon weltläufigen Jeannot an den
„lieben Bärni“, der sich wiederum mit Nachrichten aus
dem ländlichen Mötschwil meldete. Ihre reiche,
sprachlich wie optisch überaus witzige Korrespondenz ist
eine einzigartige Sammlung von lauter kleinen
Kunstwerken, für die die wunderbaren Schwarzweiss-Fotos
von Leonardo Bezzola den passenden Rahmen bilden. Was
für eine Fundgrube!
Nouveaux Réalistes
Beim Betrachten der Preziosen nehmen ihre Schöpfer
noch einmal Gestalt an: hier der vierschrötige Luginbühl
in seinem wiegenden, schleppenden Gang, stets im
Overall, auf dem imposanten Schädel eine Schiffermütze,
dort der rastlose Tinguely, der schnelle, hektische
Kosmopolit. Und noch einmal lebt vor uns die grosse Zeit
der Schweizer Kunst auf, auch wenn Luginbühl zu spotten
pflegte: „Ich dokumentiere das Eisenzeitalter – mit
moderner Kunst hat das gar nichts zu tun.“
Beide, Tinguely und
Luginbühl, werden den Nouveaux Réalistes zugerechnet und
waren in ihrer Kunst wesentlich Restenverwerter, die aus
Altem, von der Wegwerfgesellschaft Entsorgtem etwas
Neues kreierten. Eine der imposantesten Manifestationen
der Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts, massgeblich
initiiert von Bärni und Jeannot und von ihnen und ihrem
engsten Freundeszirkel in monatelanger Arbeit
realisiert, steht im Wald von Milly-la-Forêt bei
Fontainebleau, 50 Kilometer südlich von Paris, und ist
alleweil einen Besuch wert: die einzigartige
Riesenplastik „le Cyclop“, auch „Kopf“ oder „Monster“
genannt.
Das Geschenk
Luginbühl
konstruierte das mächtige Eingangstor und dazu einen
monumentalen Flipperkasten, Daniel Spoerri sein Pariser
Hotelzimmer in seltsamer Perspektive, Eva Aeppli eine
Gruppe ausgemergelter Gestalten in einem veritablen
Güterwaggon, und von Niki de Saint Phalle stammt das als
Spiegelmosaik gestaltete Antlitz der Figur, hinter dem
unermüdlich Tinguelys Räderwerk arbeitet. 1987 schenkte
Jeannot das Riesending dem französischen Staat.
Die Ausstellung in
Burgdorf ist übrigens nicht der einzige Anlass, Jean
Tinguely in seinem 25. Todesjahr zu gedenken: Freiburg,
des Künstlers Heimatkanton, wartet in diesem Jahr unter
dem Signet „TINGUELY2016“ mit mehr als 50 Ausstellungen
und Veranstaltungen auf.
Die Ausstellung
„Luginbühl/Tinguely“ im Alten Schlachthaus in Burgdorf
dauert bis zum 6. November 2016.
www.luginbuehlbernhard.ch
www.tinguely2016.ch